Wilfried Porth im "StZ"-Interview zur Bundestagswahl

Herr Porth, hat der Bundestagswahlkampf aus Sicht der Wirtschaft schon das Gewicht, das er verdient?

Bisher haben wir einen Wahlkampf über wenig Inhaltliches erlebt. Was die Parteien in den großen Zukunftsfragen an politischen Lösungen anbieten, das ist bei Weitem zu kurz gekommen. Deswegen wäre es jetzt im Endspurt des Wahlkampfs besonders wichtig, die schwergewichtigen Themen wie den Klimaschutz, die Transformation der Wirtschaft oder die Finanzierbarkeit der Sozialleistungen deutlich herauszuheben.

Liegt das auch am Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, der eine deutliche Ausrichtung vermissen lässt – weshalb CSU-Chef Markus Söder das Bild vom „Schlafwagen“ geprägt hat?

Niemand sollte mit dem Finger auf andere zeigen. Da schenken sich alle Beteiligten nichts. Vielleicht ist es für viele – auch manche Medien – bequemer, sich bei den persönlichen Dingen auszutoben, als sich mit den sehr komplexen Inhalten zu befassen.

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Wilfried Porth, Vorsitzender Südwestmetall

Laschet verspricht ein „Entfesselungspaket“. Gab es für die Union in der Regierung seit 2005 nicht ausreichend Zeit, die Wirtschaft zu entfesseln?

Man hätte viele Jahre dafür Zeit gehabt, aber die wurden hauptsächlich der Sozialpolitik gewidmet. Die Wirtschaft hat in der Politik in den letzten zehn Jahren nicht in dem nötigen Maße stattgefunden. Wir wünschen uns von der neuen Regierung, dass sie dies ändert.

Führende Arbeitgebervertreter warnen geradezu vor einer grünen Kanzlerin. Trauen Sie Annalena Baerbock auch keine wirtschaftlichen Impulse zu?

In Baden-Württemberg zeigen die Grünen seit Jahren, dass man mit ihnen konstruktiv zusammenarbeiten kann. Auf Bundesebene hingegen gibt es viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten, und die Grünen haben bisher nicht zeigen können, wie sie als Kanzlerinnenpartei mit dieser Gestaltungshoheit umgehen. Die aktuelle Parteiführung zeichnet sich auch nicht in großer Erfahrung in Regierungs- und Wirtschaftsdingen aus. Daher kann man zu unterschiedlichen Bewertungen auf Bundes- und Landesebene kommen.

Die Grünen wollen in der Regierung ein Klimaschutzministerium mit Vetorecht durchsetzen. Besteht die Gefahr, dass die Politik in puncto Klima überzieht?

Ich bin grundsätzlich gegen solche Vetorechte. Die Nachhaltigkeit werden wir nur in einer ausgewogenen Fahrweise hinbekommen, die neben Klimaschutz auch wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigt. Wir brauchen ein Zusammenspiel aller politischen Kräfte, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Wenn ein Ministerium überall Nein sagen kann, könnte sich dies destruktiv auswirken.

Ist die Abwehrhaltung gegenüber den Grünen auch so groß, weil großen Teilen der Wirtschaft selbst der Mut zum raschen klimagerechten Umbau fehlt?

Ich will nicht ausschließen, dass einzelnen Unternehmen noch der Mut oder auch die richtigen Ideen fehlen. Das gilt aber nicht für die große Mehrheit. Die hat es aber im Moment mit maximalen Anforderungen zu tun. Der Abschwung hatte ja schon vor der Pandemie begonnen. Derzeit belastet auch noch der Mangel an wichtigen Teilen. Da zusätzlich die Zukunft zu finanzieren ist eine gewaltige Herausforderung gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen. Somit brauchen wir mehr staatliche Anreize – und auf der Kostenseite eine Entlastung.

"Wir brauchen eine Deckelung der SV-Beiträge, weitere Anreize für Investitionen und Entlastung bei Ertragssteuern"
Geht es etwas konkreter?

Die Umsetzung einer nachhaltigen Industriepolitik erfordert immense Investitionen. Wenn weiterhin Gesetze geschaffen werden, die mehr Bürokratie und Eingriffe in unsere Arbeit bringen, oder wenn ohne Gegenfinanzierung immer mehr soziale Absicherung versprochen wird, dann fehlt uns das Geld für Innovationen. Konkret brauchen wir eine Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge, weitere Anreize für Technologieinvestitionen und Entlastung bei den Ertragssteuern.

Die Wirtschaft fordert eine Deckelung der Sozialabgaben bei 40 Prozent. Wie lässt sich insbesondere das Rentensystem dann noch finanzieren?

Wenn wir so weitermachen wie bisher und noch zusätzliche Leistungen in das Rentensystem packen, dann wird es definitiv nicht funktionieren. Also müssen wir über alle Hebel, wie das Renteneintrittsalter oder die Rentenerhöhungen, ernsthaft diskutieren, wenn die Beiträge oder die Steuerzuschüsse nicht durch die Decke schießen sollen. Wenn die Politiker da die ersten Schritte gehen würden, ohne gleich – wie der Bundesfinanzminister – die Vorschläge von Sachverständigenbeiräten in Grund und Boden zu reden, dann wären wir schon mal etwas weiter. Zudem müssen wir neben der gesetzlichen Rente zusätzliche Vorsorgesysteme schaffen, die allerdings nicht den heutigen Garantieansprüchen unterliegen können.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz sowie die SPD scheinen für die Wirtschaft keine relevanten Partner mehr zu sein.

Es gab immer wieder Phasen, in denen die SPD für die Wirtschaft Gutes geleistet hat – für die vergangenen Jahre kann ich dies nicht erkennen. Die Forderungen der SPD haben zu einer massiven Leistungsausweitung im Sozialbereich geführt. Ich kenne Herrn Scholz noch aus seiner Zeit als Arbeitsminister 2007 bis 2009 – damals hat er sehr konstruktiv agiert. Heute warte ich noch auf konkrete Aussagen zur Wirtschaftspolitik, die ich bisher bei allen vermisse.

Union und FDP versprechen den Verzicht auf Steuererhöhungen und wollen den Soli für die Spitzenverdiener abschaffen. Grüne und SPD sind gegen Steuersenkungen, wollen aber Wohlhabende mehr belasten. Lohnt der Streit vor allem über Besserverdienende?

In der Steuerpolitik muss man endlich die Ausgabenseite des Staates in den Blick nehmen, statt zu überlegen, wie man noch mehr Steuern fordern kann, um damit immer neue Leistungen zu schaffen. Klar, muss es eher bei den kleineren und mittleren Einkommen zu überproportionalen Entlastungen kommen – nicht unbedingt bei den Spitzenverdienern. Aber die Steuerlast der Wirtschaft zu erhöhen kann nicht sinnvoll sein.

"Wir glauben, dass sich die Zukunft mit einer funktionierenden Wirtschaft und Menschen in guter Arbeit besser finanzieren lässt, als wenn man Steuern erhöht"
Soll der Staat Geld für Investitionen und für den Abbau des Schuldenbergs allein aus dem Wirtschaftswachstum holen?

Sowohl die Wiedervereinigung als auch die Finanzkrise 2008/2009 wurden weitestgehend aus einer prosperierenden Wirtschaft heraus finanziert. Deswegen glauben wir, dass sich mit einer funktionierenden Wirtschaft und Menschen in guter Arbeit die Zukunft besser finanzieren lässt, als wenn man den Unternehmen und Menschen über Steuern Geld entzieht, um eher hinderliche Dinge zu finanzieren.

In der Union gibt es zunehmend Stimmen für eine Aufweichung der Schuldenbremse mit einer Streckung der Tilgung. Auch Wirtschaftsforscher fordern dies. Braucht es da den Kurswechsel?

Wir haben gelernt, dass die alten Regeln der Finanzmärkte nicht mehr wie bisher funktionieren. Von daher sind die Wirtschaftswissenschaftler gefordert zu analysieren, ob sich neue Gesetzmäßigkeiten ergeben haben. Ich schließe nicht aus, dass sich daraus neue Handlungsspielräume ergeben, was etwa das Tempo beim Abbau der Staatsverschuldung angeht.

FDP-Chef Lindner lehnt die spezifische Förderung von E-Autos ab. Können allein der Markt und Innovation das geforderte Tempo beim klimagerechten Umbau der Industrie bringen?

Die Schnelligkeit, mit der die Umstellung gewünscht wird, ist in der Tat der kritischste Punkt. Die Automobilindustrie ist verantwortlich für die Technologieentwicklung des Elektroautos. Wenn eine Gesellschaft einen Umschwung so schnell bewerkstelligen will, wird es aber ohne Anreizsysteme sowohl auf der Kundenseite als auch bei der Infrastruktur nicht funktionieren. Der Kunde wird nur dann wechseln, wenn er für sich daraus einen Vorteil sieht. Die staatliche Förderung ist da mit Sicherheit ein Teil des Anreizes für den Wechsel vom Verbrenner zum E-Auto.

Sie kritisieren Versuche der Politik, die Technologien vorzuschreiben. Dabei schaffen die Autohersteller selbst die Fakten zugunsten der Elektromobilität.

Der Ursprung ist die deutliche Herabsetzung der Grenzwerte, die in einem kürzer werdenden Zeitraum erreicht werden müssen. Dadurch wurde die Haupttechnologie für die nächsten zehn Jahre indirekt erzwungen. Den Automobilherstellern ist es im Moment nicht möglich, beide Technologien – batterieelektrisch und Brennstoffzelle – im gleichen Zeitraum zur gleichen Reife zu bringen. Die Brennstoffzelle ist vom Entwicklungs- und Kostenstand her noch deutlich hinterher. Dass wir sie im Truck-Bereich weiterentwickeln und zuerst zum Einsatz bringen, ist klar. Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sie im Pkw-Bereich in zehn Jahren immer noch komplett außen vor ist.

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Volker Steinmaier

Referatsleiter Medienarbeit Print, Rundfunk und TV

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