Dr. Wolf: „Arbeit muss erledigt werden. Wenn aber das Arbeitszeitvolumen stimmt, ist auch mehr Spielraum für Beschäftigte denkbar“

STUTTGART – Betriebe wie Beschäftigte der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E) wünschen sich noch mehr Flexibilität und größere Freiheiten bei der Arbeitszeit, wie zwei Umfragen des Arbeitgeberverbands Südwestmetall belegen.

„Die Betriebe haben natürlich die Wünsche ihrer Mitarbeiter auf dem Schirm und sind grundsätzlich bereit zu tun, was möglich ist. Das bescheinigen uns ja auch die Beschäftigten“, sagte der Verbandsvorsitzende Dr. Stefan Wolf am Mittwoch in Stuttgart: „Aber klar ist auch: Die Kunden bestimmen, wann wie viel Arbeit erledigt werden muss. Ist das gesichert, ist manches denkbar, wovon auch die Beschäftigten profitieren.“

Auch in der M+E-Industrie entfernt sich die Arbeitswelt immer mehr vom klassischen Nine-to-Five-Modell. Dabei tragen moderne Kommunikationsmittel und Digitalisierung dazu bei, Arbeitszeiten flexibler gestalten zu können. Und dies weckt Begehrlichkeiten. So rechnen laut der Umfrage rund 85 Prozent der Betriebe mit zunehmenden Wünschen der Mitarbeiter nach lebensphasenorientiert nutzbaren Freistellungen – um etwa auf einem Zeitkonto angesparte Arbeitszeit für Teil- oder Auszeit nutzen zu können. Die große Mehrheit der Betriebe (71 Prozent) ist auch grundsätzlich bereit, den Mitarbeitern mehr Flexibilität einzuräumen – vorausgesetzt, das Volumen stimmt. „Ein ausreichendes Arbeitszeitvolumen, das passgenau zur Verfügung steht, wenn es benötigt wird, ist für die Betriebe von zentraler Bedeutung“, sagt Wolf: „Die Arbeit muss schließlich erledigt werden.“ Ein wettbewerbsfähiger Betriebsablauf bilde dabei die Grenze für alle den Arbeitnehmern eingeräumten Spielräume: „Arbeit darf dadurch schließlich nicht noch teurer werden

Um dies sicherzustellen, ist es aus Sicht der Betriebe jedoch erforderlich, gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen anzupassen. „Hier treffen Regelungen aus dem letzten Jahrhundert auf eine veränderte, digitalisierte Arbeitswelt. Das passt nicht mehr“, so der Südwestmetall-Vorsitzende. So sehen etwa knapp Dreiviertel der Betriebe (72 Prozent) die gesetzliche Beschränkung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden als Hindernis, mehr als 60 Prozent die ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden. Und zwei Drittel der Betriebe empfinden den tariflichen Spielraum als zu gering. „Uns geht es nicht um eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit, sondern um mehr Flexibilität bei deren zeitlichen Verteilung“, stellt Wolf klar: „Wir sehen in den Ergebnissen einen klaren Auftrag unserer Mitglieder, diese Themen anzugehen. Wenn wir hier etwas schaffen, müssen wir auch die 35-Stunden-Woche nicht in Frage stellen.“

Bemerkenswerterweise wären viele Beschäftigte dazu bereit, diesen Weg mitzugehen. So sagen mehr als Dreiviertel (78 Prozent), dass sie auch mal an einem Tag länger als zehn Stunden arbeiten würden, wenn es dafür später einen Ausgleich gibt – zumindest dann, wenn sie über die Arbeitszeit mitbestimmen können. Und eine Mehrheit wäre bereit, auch mal die Ruhezeit zu unterbrechen – um z.B. dienstliche Mails zu lesen. Gut zwei Drittel würden gelegentlich abends oder samstags ohne Zuschläge arbeiten, wenn sie im Gegenzug freier über ihre Arbeitszeit verfügen dürfen. „Offenbar haben viele Arbeitnehmer ein feines Gespür dafür, dass die aktuellen Regelungen ihren Wünschen nach mehr Flexibilität im Wege stehen“, sagt Wolf: „Das zeigt, dass wir hier durchaus zu vernünftigen Lösungen gelangen können, von denen beide Seiten profitieren.“

Überdies zeigen die Umfrageergebnisse, dass Flexibilität bei der Arbeitszeit in den Betrieben in zahlreichen Schattierungen längst gelebt wird. So geben fast Dreiviertel der Beschäftigten an, schon heute ihre Arbeitszeit „immer“ oder zumindest „manchmal“ kurzfristig an persönliche Bedürfnisse anpassen zu können. Mit denen, die das in Ausnahmefällen können, sind es sogar 93 Prozent. In der Mehrzahl der Betriebe ist mobiles Arbeiten grundsätzlich möglich, immerhin jeder fünfte Beschäftigte gibt an, davon auch Gebrauch zu  machen. Und fast jeder zweite Betrieb erlaubt sogar grundsätzlich, dass am Arbeitsplatz Privates erledigt werden kann – wovon die Beschäftigten nach eigenen Angaben rund eine Stunde pro Woche Gebrauch machen.

Umgekehrt ist die vielzitierte „ständige Erreichbarkeit“ längst kein Massenphänomen. Zwar geben 70 Prozent der Beschäftigten an, dass sie grundsätzlich auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar sind. Aber nur bei jedem zehnten Mitarbeiter wird dies vom Unternehmen auch ausdrücklich oder stillschweigend erwartet. Und tatsächlich kommen dann der Anruf oder die Mail vom Chef eher selten – bei rund 90 Prozent höchstens einmal pro Monat, seltener oder gar nie.

Zu den Umfragen: Anfang 2017 wurden bundesweit 1.055 repräsentativ ausgewählte M+E-Beschäftigte durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid zu ihren Vorstellungen in Sachen Arbeitszeit befragt. Zeitgleich lief eine Umfrage bei 1.153 M+E-Unternehmen – davon 306 Südwestmetall-Mitglieder –, durchgeführt vom Beratungsunternehmen IW Consult. Auftraggeber waren die M+E-Arbeitgeberverbände. Die zitierten Ergebnisse beziehen sich auf die bundesweite Beschäftigtenbefragung sowie auf die Unternehmensergebnisse aus Baden-Württemberg.

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