Tarifabschluss für M+E-Industrie Baden-Württemberg erzielt

31.03.2021

Die Arbeitgeber der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E) haben das Tarifergebnis für den Südwesten als „wichtigen Schritt in die Zukunft“ bezeichnet. „Die Tarifpartner haben erneut bewiesen, dass sie auch unter schwierigsten Rahmenbedingungen handlungs- und gestaltungsfähig sind“, sagte der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, der Südwestmetall-Vorsitzende Wilfried Porth, am Mittwoch nach der Einigung in Kornwestheim. Der Abschluss enthalte optionale Tarifbausteine, die die Betriebe bei der Bewältigung von Krise und Transformation unterstützen könnten. „Und wir haben in diesem Abschluss die besondere wirtschaftliche und tarifliche Ausgangsposition in Baden-Württemberg umfangreich berücksichtigt“, so Porth.

Für die Betriebe bedeute der Abschluss eine noch vertretbare Kostenbelastung mit belastbaren Möglichkeiten der Abweichung im Bedarfsfall sowie Planungssicherheit. Die Beschäftigten erhielten in bewegten Zeiten des Umbruchs eine Perspektive und mehr Sicherheit. „Der Abschluss ist weitsichtig und fair für beide Seiten. Das gemeinsame Ziel, in dieser herausfordernden Situation Beschäftigung zu sichern, war letztlich der Weg, der zur Einigung geführt hat“, sagte Porth. Die Arbeitgeber im Südwesten hätten in dieser Tarifrunde früh ihre Ziele zur Krisenbewältigung und Transformation formuliert: „Wir haben zu vielen Punkten ein vernünftiges Ergebnis bekommen.“

Materiell wird in Baden-Württemberg der Pilotabschluss von Nordrhein-Westfalen übernommen. In diesem Jahr gibt es eine Einmalzahlung. 2022 wird eine zusätzliche jährliche Sonderzahlung („Trafobaustein“) eingeführt, mit dem auch bei Beschäftigten mit reduzierter Arbeitszeit während einer Transformationsphase das Entgelt aufgestockt werden kann. Verknüpft ist dies in diesem Jahr mit der automatischen Differenzierung einer bestehenden Sonderzahlung (tarifliches Zusatzgeld, T-ZUG B), die bei Betrieben mit niedriger Rendite entfällt.

Für die Betriebe in Baden-Württemberg kommt noch optional eine variable Gestaltung des Weihnachtsgelds hinzu, wie die Arbeitgeber gefordert hatten. Dieses kann künftig bei schlechter wirtschaftlicher Lage halbiert werden und so für eine weitere Kostenentlastung sorgen. Bei guter Lage kann es aber auch um die Hälfte erhöht werden und bietet so den Beschäftigten zusätzliche Einkommenschancen. „Wir hatten uns vorgenommen, in diesem Jahr Kostenbelastungen zu vermeiden – insbesondere für Betriebe, die noch weit entfernt vom Vorkrisenniveau liegen“, sagte Porth: „Dieses Ziel haben wir mit der automatischen Differenzierung und der Variabilisierung sowie einigen sonstigen technischen Änderungen der Tarifverträge erreicht.“ 2020 hätten knapp zwei Drittel der Unternehmen unter der Rendite gelegen, die für die Differenzierung maßgeblich ist.

Die optionalen Bausteine zur Gestaltung der Transformation, Zukunftstarifverträge und Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich, werden in Baden-Württemberg tariftechnisch eigenständig umgesetzt. Der Weg zu einem Zukunftstarifvertrag wird im Prinzip an den bestehenden „Pforzheim“-Prozess für Krisenlösungen angedockt und um Transformationsthemen erweitert, einen Einigungszwang gibt es nicht. „Wir sind überzeugt, dass gerade diese Flexibilität und der fehlende Zwang Betriebsparteien eher dazu ermutigen werden, einen solchen Prozess anzustoßen“, sagte Porth.

Hat ein Unternehmen in der Transformation Beschäftigungsprobleme, steht ihm nun die tarifliche Option zur Verfügung, die Arbeitszeit kollektiv zu reduzieren – in Baden-Württemberg auf bis zu 28 Wochenstunden für längere Zeiträume. Ein möglicher Teilentgeltausgleich wird kollektiv oder individuell aus der neu eingeführten Sonderzahlung „Trafobaustein“ finanziert, also von den Beschäftigten über die künftige Tariferhöhung selbst getragen. „Das Modell sollte für Betriebe, die im Strukturwandel Beschäftigung sichern wollen, attraktiv sein, weil es keine zusätzlichen Kosten verursacht“, sagte der Südwestmetall-Vorsitzende. Für Studierende der Dualen Hochschulen Baden-Württemberg werden erstmals tarifliche Regelungen u.a. zum Entgelt vereinbart.

Weiter haben sich die Tarifparteien in Baden-Württemberg darauf verständigt, die tariflichen Arbeitszeitregelungen drastisch zu vereinfachen. Künftig soll es einen Korridor für die durchschnittliche Arbeitszeit im Betrieb geben, innerhalb dessen die individuelle Arbeitszeit mit den Beschäftigten flexibler vereinbart werden kann. Auch verschiedene Tarifverträge in Baden-Württemberg sollen vereinheitlicht, modernisiert und vereinfacht werden. „Damit haben wir nicht nur erreicht, die Tarifverträge einfacher und attraktiver zu gestalten, sondern auch einen Einstieg gefunden, um über die tariflichen Sonderleistungen in Baden-Württemberg zu sprechen“, sagte Porth: „Dieses Thema werden und müssen wir auch künftig auf der Agenda behalten.“ Mit der IG Metall wurde dazu eine Gesprächsverpflichtung zu künftigen Veränderungsbedarfen geschlossen. Außerdem wurde die Gesprächsverpflichtung zur betrieblichen Altersvorsorge (bAV) aus dem Jahr 2018, die noch nicht abgearbeitet ist, vor dem Hintergrund der aktuellen Zinssituation und den daraus resultierenden Risiken für die bAV erneuert.

Die Bausteine des Tarifabschlusses im Einzelnen:

Entgelt & Laufzeit:

  • 2021: Corona-Beihilfe in Höhe von 500 Euro (für Azubis 300 Euro), auszuzahlen bis Juni 2021
  • 2022: Einführung einer neuen jährlichen Sonderzahlung („Trafogeld“) in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsentgelts (Auszahlung im Februar)
  • 2023: Anhebung des „Trafogelds“ auf dann künftig 27,6 Prozent eines Monatsentgelts (Auszahlung im Februar)
  • Laufzeit 21 Monate (vom 1. Januar 2021 – 30. September 2022)

Differenzierung & Variabilisierung:

  • 2021 gilt für die in den Oktober geschobene Sonderzahlung „tarifliches Zusatzgeld“ (T-ZUG B) in Höhe von 398,50 Euro eine automatische Differenzierung. D.h., dass für Betriebe mit einer Nettoumsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent (2021) diese Sonderzahlung entfällt.
  • Variabilisierung der Jahressonderzahlung: Das sogenannte Weihnachtsgeld (bisher fix 55 Prozent eines Monatsentgelts; Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern: 60 Prozent) kann künftig betrieblich in Verbindung mit beschäftigungssichernden Elementen variabel vereinbart werden und um jeweils die Hälfte entweder abgesenkt oder erhöht werden. Die Kriterien legen die Betriebsparteien fest, die Tarifparteien haben ein Vetorecht bei der Festlegung der Kriterien.

Optionale Bausteine zur Gestaltung der Transformation:

Zukunftstarifverträge:

  • Ergänzung des bisherigen „Pforzheim“-Prozesses (vornehmlich Krisenbewältigung) um Zukunftsthemen (Transformation)
  • Initiativrecht für beide Betriebsparteien, kein Einlassungs- oder Einigungszwang; Tarifparteien können auf Antrag einer Betriebspartei hinzugezogen werden
  • Weitgehender Verzicht auf Festlegung der zu regelnden Inhalte, um passgenaue Lösungen zu ermöglichen

Kollektive Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich:

  • Möglichkeit der kollektiven Arbeitszeitabsenkung für längere Zeiträume für alle Beschäftigten oder Teile des Betriebs auf bis zu 28 Wochenstunden
  • Finanzierung eines Teilentgeltausgleichs (Aufstockung auf entfallende Arbeitsstunden) aus neuem „Trafobaustein“; Höhe in Abhängigkeit der Inanspruchnahme (Anteil der Beschäftigten, Umfang der Arbeitszeitreduzierung)
  • Die Aufstockung kann individuell eigenfinanziert werden (jeder Beschäftigte finanziert die monatliche Aufstockung aus der Sonderzahlung selbst) oder kollektiv (alle Beschäftigten tragen über den Trafobaustein zur Aufstockung für einen Teil der Belegschaft bei); bei kollektiver Finanzierung wird nur rund die Hälfte des Transformationsgeldes genutzt, der Rest kommt zur Auszahlung
  • Wird keine Arbeitszeitabsenkung benötigt, wird das Transformationsgeld vollständig ausgezahlt
  • Bisherige tarifliche Modelle zur Arbeitszeitabsenkung bei konjunkturellen Anlässen bleiben unverändert bestehen (z.B. Arbeitszeitabsenkung auf bis zu 31,5 Wochenstunden ohne Entgeltausgleich für bis zu 12 Monate nach TV Besch)

Vereinfachung Arbeitszeitregelungen

  • Die tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit – insbesondere zum Anteil der Beschäftigten mit Arbeitsverträgen über mehr als 35 Wochenstunden – werden drastisch vereinfacht
  • Anstelle der bisherigen Regeln, die betrieblich weiter angewendet werden können, tritt ein Korridormodell für die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Betrieb. Der Korridor wird auf 34 – 36 Wochenstunden festgelegt
  • Wird der Korridor um eine halbe Stunde unterschritten, können Arbeitgeber z.B. Teilzeitwünsche ablehnen; wird er um eine halbe Stunde überschritten, können wiederum die Betriebsräte längere Arbeitszeitverträge ablehnen
  • Betriebe und Beschäftigte können damit viel flexibler die Arbeitszeit individuell vereinbaren. Zudem wird die Komplexität der tariflichen Regelungen hierdurch drastisch reduziert.

Vereinheitlichung und Vereinfachung Tarifverträge

  • Die bisher unterschiedlichen Manteltarifverträge für die drei Tarifgebiete im Land (Nordwürttemberg-Nordbaden, Südbaden, Württemberg-Hohenzollern) sollen in den nächsten Monaten vereinheitlicht, neu strukturiert, modernisiert und vereinfacht werden.
  • In diesem Zuge sollen auch die tariflichen Regelungen zur Alterssicherung modernisiert und an die aktuelle Rechtslage angepasst werden.
  • Auch der Entgeltrahmentarifvertrag (ERA) sollen überprüft und ggf. modernisiert werden – z.B. im Hinblick auf sich wandelnde Berufsbilder im Zuge des technologischen Wandels
  • Bei der Berechnung des durchschnittlichen betrieblichen Leistungsentgelts werden künftig Neueinstellungen erst nach drei Jahren berücksichtigt. Da Neueinstellungen in der Regel ein niedrigeres Leistungsentgelt erhalten und der betriebliche Durchschnitt so steigt, hat dies für zahlreiche Unternehmen einen kostendämpfenden Effekt (z.B., wenn das Leistungsentgelt dann auf den betrieblich angestrebten Durchschnitt von 15 Prozent korrigiert wird).

Tarifregelungen für Studierende der DHBW

  • Vergütung analog zu den Auszubildenden
  • 35-Stunden-Woche in der Ausbildungsphase
  • Regelungen zu Urlaub und tariflichen Einmalzahlungen
  • Übernahmeempfehlung
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Volker Steinmaier

Referatsleiter Medienarbeit Print, Rundfunk und TV

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