Dr. Wolf: „Qualifizierung der Beschäftigten wird eine Herkules-aufgabe – wir benötigen auch tarifpolitische Antworten“
Die baden-württembergischen Metallarbeitgeber haben Politik und IG Metall dazu aufgefordert, die Unternehmen in der Automobilindustrie im aktuellen Wandel hin zur Elektromobilität zu unterstützen und zu stärken. Die aktuelle Strukturstudie „BWe mobil 2019“ zeige, vor welchen gewaltigen Herausforderungen dieser Industriezweig gerade stehe, sagte der Südwestmetall-Vorsitzende Dr. Stefan Wolf am Montag in Stuttgart: „Hier müssen alle Kräfte zusammenwirken, damit unsere Autoindustrie bei Innovationen weiterhin an der Spitze bleibt und die Jobs am Standort Baden-Württemberg zukunftssicher gemacht werden. Dafür brauchen wir bessere gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen und mehr Rückenwind von der Politik – statt zusätzlicher Belastungen der Betriebe.“
Wolf sieht in den Ergebnissen der Studie keinen Anlass, hinsichtlich der relativ stabilen Gesamtbeschäftigtenzahl besorgt zu sein: „Wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und unsere führende Innovationsrolle verteidigen, werden wir genauso vielen Menschen wie bisher Arbeit bieten können.“ Allerdings lege die Studie deutlich offen, wie massiv sich die Anforderungen etwa an die berufliche Qualifikation für viele Beschäftigte bei den Autobauern und derer Zulieferern verändern werden.“ So erwartet die Studie, dass bis 2030 allein in der Produktion des Antriebsstrangs zwischen 18.500 und 39.000 Arbeitsplätze im Land in ihrer bisherigen Form wegfallen könnten – je nachdem, wie schnell sich Elektroantriebe durchsetzen werden: „Einige betroffene Mitarbeiter werden bis dahin in der Rente sein. Wenn wir aber den verbleibenden Beschäftigten eine Perspektive bieten wollen – und das wollen wir –, müssen wir sie für andere Aufgaben qualifizieren. Die Zahlen belegen, vor welcher Herkulesaufgabe wir hier stehen.“
Der Südwestmetall-Vorsitzende regt an, eine Bildungs-Roadmap über die gesamte Bildungskette zu entwickeln: „Das muss höchste Priorität haben.“ Neben den Sozialpartnern sei hier auch die Politik gefordert. Sie müsse ihre Bildungs- und Qualifizierungssysteme agil darauf ausrichten, wie sich die Anforderungen durch diesen industriellen Strukturwandel verändern. „Hier müssen alle Beteiligten noch viel mehr über den eigenen Tellerrand hinausschauen, über die eigenen Systemgrenzen zusammenarbeiten – wie uns dies ja bei den „Lernfabriken 4.0“ gut gelingt“, sagte Wolf. Ein besonderes Augenmerk müsse auf kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gelegt werden: „Sie müssen bei der Weiterbildung und der Organisationsentwicklung mit passgenauen Programmen unterstützt werden, sonst laufen sie Gefahr, überrollt zu werden.“ Ein Vorbild könnten die Qualifizierungsverbünde werden, die im Juli 2019 als Pilotprojekt starten. Hierbei schließen sich KMU zusammen, um gemeinsam Mitarbeiter im Transformationsprozess zu qualifizieren. Darüber hinaus habe man mit dem Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft einen leistungsfähigen Partner für die Beratung und Qualifizierung im Transformationsprozess bereitstehen.
Auch die Tarifpolitik müsse Antworten auf die anstehenden Herausforderungen geben, forderte Wolf: „Die Unternehmen müssen in den nächsten Jahren in diesen Wandel noch mehr investieren als bisher. Dafür benötigen sie eine Tarifentwicklung, die ihnen den notwendigen finanziellen Spielraum lässt.“ Genauso wichtig sei es jedoch, die allgemeinen tariflichen Rahmenbedingungen darauf auszurichten, die Unternehmen in dem Transformationsprozess optimal zu unterstützen: „Wenn es so gelingt, die Arbeitsplätze zu sichern, profitieren letztlich die Beschäftigten am allermeisten davon.“
Von der Landespolitik erwarten die Metallarbeitgeber ein noch größeres Engagement, den Innovationsstandort Baden-Württemberg weiter zu stärken. Aus Wolfs Sicht kommt dabei den Hochschulen eine besondere Bedeutung zu. Was hier an wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnen werde, müsse noch schneller in marktgängige Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle überführt werden: „Wir brauchen eine echte Transferkultur. Dafür müssen die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Hochschulen verbessert sowie die Netzwerke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gestärkt werden.“ Gelegenheit dafür biete die anstehende Novellierung des Landeshochschulgesetzes und die Neuverhandlung des Hochschulfinanzierungsvertrags: „Hier kann die Landesregierung wichtige Impulse setzen, um den Innovationsstandort Baden-Württemberg zu stärken.“